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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien am 23. September 2003 in der »Stuttgarter Zeitung«.

Illustriert ist der Text mit Szenenfotos aus dem Magersucht-Theaterstück »Schlagmann« des Frankfurter Theaters Grüne Sosse. Unter der Regie von Sigi Herold spielen die Schauspielerinnen Kathrin Marder und Friederike Schreiber.

Artikel zum Thema:

»Dem Körper mit Psychotherapie auf die Sprünge helfen«

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Dem Körper mit Psychotherapie auf die Sprünge helfen

Psychotherapie bewirkt keine Wunder, kann aber die Lebensqualität bei Kranken steigern

Die Wechselbeziehungen zwischen körperlichem und seelischen Befinden sind unumstritten. Dennoch hat die Schulmedizin lange Jahre zu wenig die psychischen Faktoren bei der Behandlung von körperlichen Erkrankungen einbezogen.

von Maja Langsdorff

Auf geht's!Es war der legendäre Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897), der schon im 19. Jahrhundert erkannte: »Oft konnte ich Kranken erst helfen, als ich Ordnung in ihre Seele brachte.« Doch erst seit wenigen Jahren schenkt die Schulmedizin der begleitenden Psychotherapie mehr Beachtung. Man könnte diese Entwicklung zumindest teilweise auch darauf zurückführen, dass Studien nicht nur zeigen, wie positiv sich Psychotherapie auf das Krankheitsempfinden und den Krankheitsverlauf auswirken kann, sondern dass sie auch Kosten spart. Wer schneller gesundet und seelisch gestärkt in den Genesungsprozess eintritt, braucht weniger Medikamente und Arztbesuche.

Beim 1. Landespsychotherapeutentag in Stuttgart der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württember diskutierten am 21. September 2003 Fachleute, wie sich körperliche Erkrankungen ganzheitlich beeinflussen lassen. Denn krank zu sein, belastet die Betroffenen auch psychisch und geistig. Gelingt es ihnen nicht, angemessen auf ihre Krankheit zu reagieren, sie in ihre Lebensgeschichte und ihren Alltag zu integrieren und sich angemessen auf neue Lebensumstände einzustellen, drohen im harmlosesten Fall Ängste und Unsicherheiten, im schlimmsten massive psychische Störungen.

...und ueben!Nach Studien, die Professor Bernhard Strauß von der Universität Jena zitierte, sind mehr als 40 Prozent der körperlich Kranken psychisch auffällig; mindestens 30 Prozent der Patienten in Akutkrankenhäusern leiden unter psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, und bei jedem Zehnten wäre eine psychologische Behandlung ebenso nötig wie die medizinische.

Verhaltenstraining und Entspannung sind nur zwei Möglichkeiten, selbst einzugreifen. Dass der Mensch mit der Kraft seiner Gedanken Einfluss nehmen kann auf Körperfunktionen, die er eigentlich gar nicht steuern kann, wies in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Johannes Heinrich Schultz nach, der Berliner Neurologe, Psychotherapeut und »Erfinder« des Autogenen Trainings. Auch Meditation führt körperliche Veränderungen herbei, wirkt etwa auf den Blutdruck, auf Schmerzen und Asthma ein.

Die Verzahnung von körperlichem und seelischen Befinden spiegelt sich in vielen Krankheitsbildern wider, etwa bei Tinnitus und Migräne, beim Zähneknirschen und bei Rückenproblemen. Bei Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, lässt sich besonders eindrucksvoll nachweisen, wie Geist und Körper sich gegenseitig beeinflussen.

In der Schmerztherapie gilt es heute als »Kunstfehler«, so Herta Flor, Professorin am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, psychotherapeutische Behandlungsansätze außen vor zu lassen. Schmerz führt in vielen Bereichen zu Veränderungen. Die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses ist auch mit einer messbaren anatomischen Veränderung im Gehirn verbunden, denn »Lernprozesse beeinflussen die Architektur im Gehirn«. Wie sich im positiven Sinne diese Architektur verändert, wenn sich jemand das Radfahren oder Klavierspielen aneignet, kann sich eine solche Veränderung unbewusst auch bei dem Empfinden von Schmerzen vollziehen. Wiederholte Reize führen zu einer Gedächtnisspur, und die macht für weitere Reize nur um so empfindlicher.

Hey du!Während sich ein Gesunder etwa an den Schmerz eines drückenden Schuhs gewöhnt, wird dieser durch die Veränderungen im Gehirn für den Schmerzpatienten zur unerträglichen Marter. Und je mehr Beachtung und Aufmerksamkeit der Partner eines Schmerzpatienten dessen Schmerz schenkt, und je mehr und fürsorglicher er mit ihm um den Schmerz kreist, um so mehr steigt dessen Leid. Flor fand heraus, dass es Schmerzpatienten besser tut, wenn sie im Positiven bestärkt, also etwa für Aktivitäten und Unternehmungen gelobt werden, die nichts mit dem Schmerz zu tun haben. Die Struktur des Gehirns könne aber durch gezieltes Verhaltenstraining positiv verändert, die Ausschüttung schmerzlindernder Opiate beeinflusst werden. Ziel sei es, das Schmerzgedächtnis zu löschen. Das heißt: weniger auf den Schmerz zu achten, mehr zu genießen, sich abzulenken, aktiv zu werden, weniger Medikamente zu schlucken.

Eine neue Untersuchung zeige, so referierte die Spezialist aus Mannheim, dass sich die Klinikaufenthalte bei Fibromyalgie-Kranken, die ausschließlich medizinisch behandelt worden waren, um 83 Prozent erhöhten, während sie bei jenen, die auch Verhaltenstraining gemacht hatten, um 86 Prozent zurückging. Psychotherapie wirkt demnach offenbar bei vielen, auch schweren Krankheiten, positiv, sie hebt die Stimmung, verbessert Lebensgefühl und Lebensqualität.

Hey du!Was jedoch, so Professor Hermann Faller von der Uni Würzburg, keine neue Studie bestätigen konnte: dass bei Krebs die Behandlung der Seele - wie 1989 in der Spiegel-Studie ermittelt - die Überlebenszeit verlängert; auch erhöhten belastende Lebensereignisse nach dem neuesten Stand der Forschung nicht das Risiko, an Krebs zu erkranken. Eine »Krebspersönlichkeit« gebe es nicht: »Die Persönlichkeitsveränderung ist Folge, nicht Ursache der Krankheit«. Für besonders wirksam hält Professor Strauß bei lebensbedrohlichen Krankheiten wie Krebs oder Aids die Arbeit in therapeutischen Gruppen. Ängste können offen aus- und angesprochen, Kompetenz in eigener Sache und Selbstwertgefühl gesteigert werden, positive authentische Beispiele anderer Kranker machen Mut und Hoffnung.

Am Nutzen der Psychotherapie bei körperlichen Kranken besteht kein Zweifel. Und gute Modelle dafür existieren, nur lassen sich diese leider zum einen - weil personalintensiv - nicht immer finanzieren, zum anderen sind sie nicht immer in die Organisation der Klinik einzupassen.

 

Interessantes zum Thema:

Literatur

»Wie der Geist den Körper heilt«, Geo Oktober 2003
»Wie die Seele den Körper heilt«, Focus, Heft 38/2003.

Link

Landespsychotherapeutenkammmer Baden-Württemberg - hier gibt es unter anderem einen Suchdienst für Psychotherapeuten in Baden-Württemberg.

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