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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Die folgenden Artikel erschienen am 1. Juli 2003 in der »Stuttgarter Zeitung«.

Artikel zum Thema:

»Globale Erwärmung verursacht Großangriff der Pollen«

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Vermeidung, Impfung und Medikamente

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Globale Erwärmung verursacht Großangriff der Pollen

Viele Allergien nehmen zu / Heuschnupfensaison verlängert sich / Immunsystem in jungen Jahren zu wenig trainiert

Es geht früher los, es dauert länger und immer mehr Menschen niesen und schnäuzen im Chor der Heuschnupfengeplagten mit. Allergische Erkrankungen breiten sich dramatisch aus. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Hauptschuldig scheinen Umweltfaktoren zu sein.

von Maja Langsdorff

Birke»Ge-sund-heit!« ist für 13 Millionen Menschen in Deutschland inzwischen ein Reizwort. Denn die große Nieserei geht bei manchen schon Ende Januar los, wenn die ersten Bäume zu blühen beginnen. Durch die globale Erderwärmung hat sich das Blühverhalten der Pflanzen seit Mitte der Achtziger Jahre verändert. Gräser und Bäume blühen früher, Pollen fliegen länger, und es fliegen mehr und aggressivere Pollen. »Für Menschen, die auf Bäume, Gräser und Kräuterpollen sensibilisiert sind, wird die Heuschnupfenzeit seitdem immer länger und die pollenfreie Zeit immer kürzer«, sagt der Wiener Professor Siegfried Jäger. Bei Gräsern und allergieauslösenden Kräutern wie Beifuß kann die Blühsaison bis in den Oktober hinein dauern.

Seit 1990 ist die Häufigkeit von Heuschnupfen bei Erwachsenen um 70 Prozent gestiegen; 17 Prozent reagieren allergisch auf Pollen, am stärksten betroffen ist die Gruppe der 20- bis 30jährigen. Doch auch Kinder werden häufiger von Heuschnupfen geplagt. 16 Prozent der 6- bis 7jährigen haben Symptome, bei den 13- bis 14jährigen ist es fast jede/r Dritte. Der Dresdner Kinderarzt Professor Wolfgang Leupold, Vorstandsmitglied des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, betont, dass »eine rechtzeitige Behandlung und Therapie entscheidend für den Krankheitsverlauf« sei. Wird nichts unternommen, droht ein »Etagenwechsel«: Die Allergie steigt von der Nase in die Bronchien ab; aus allergischem Schnupfen kann sich nach und nach Bronchialasthma entwickeln. Das passiert bei jedem dritten Kind bzw. bei bis zu 40 Prozent der Heuschnupfenpatienten.

Kinder mit eindeutigen Symptomen – lang andauerndem Schnupfen, der über Wochen nicht abklingt, während einer Regenperiode jedoch nachlässt und sich dann wieder einstellt – sollten von einem Allergologen untersucht werden und rechtzeitig behandelt werden. »So kann in vielen Fällen Asthma verhindert werden«, so Professor Gerhard Schultze-Werninghaus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie.

Doch es mehren sich auch die Klagen über Heuschnupfensymptome von älteren Menschen, die zeitlebens beschwerdefrei waren. Experten vermuten, dies sei auf den heute besseren Gesundheitszustand alter Menschen zurückzuführen. Ihr Immunsystem ist noch höchst aktiv, nur unterscheidet es zu ihrem Leidwesen nicht zwischen Freund und Feind und reagiert so überempfindlich auf eigentlich harmlose Pollen.

Allergien wie Heuschnupfen nämlich sind eine Überreaktion des Immunsystems auf Substanzen aus der Umwelt, die, anders als Krankheitskeime, im Grunde ungefährlich sind. Fast jeder Fremdstoff kann Allergien auslösen. 20.000 solcher Substanzen, die Allergene, sind bekannt, von Angorahaaren bis Zwiebeln. Besonders häufig sind Allergien auf Pollen, Tierhaare, Milben oder Schimmelpilze.

Dass allergische Reaktionen drastisch zunehmen, ist unumstritten. Doch was sind die Ursachen? Umweltverschmutzung und Straßenverkehr scheinen eine wesentliche Rolle zu spielen. Stickoxide von Autoabgasen provozieren zwar das Immunsystem und hohe Ozonwerte verschlimmern die Asthmasymptome. Für Pollenallergiker ist Dieselruß besonders gefährlich: An Rußpartikel aus Dieselkraftstoff bleiben Pollenallergene hängen, die über den Atem bis in die feinsten Verästelungen der Lunge gelangen und die Lungenfunktion beeinträchtigen. Da steuerbegünstigt, steigt der Anteil der Wagen mit Dieselmotor, und damit die Zahl der Rußpartikel in der Luft.

In der ehemaligen DDR gab es weitaus weniger Autos – und weitaus weniger Allergiker unter 40. Ruß, Ozon, Schwefeldioxid lösen nicht Allergien aus. Aber die Schadstoffe aus dem Auspuff können wohl Wegbereiter sein und die Empfindlichkeit gegenüber Natursubstanzen wie Gräserpollen fördern. Dass in Hamburg doppelt so viele Menschen mit allergischem Asthma leben wie in Erfurt, hat aber vermutlich noch weitere Gründe, wie ein Vergleich zwischen Deutschland Ost und West nahe legt, den Wissenschaftler anstellten.

Man weiß, dass Kinder seltener Allergien entwickeln, wenn sich ihr Immunsystem von klein auf mit Krankheitserregern auseinander setzen musste. 90 Prozent der Kinder in der Ex-DDR haben eine Kinderkrippe besucht und waren damit häufiger mit Infektionskrankheiten konfrontiert. Professor Jürgen Knop von der Hautklinik der Uni Mainz bringt es auf den Punkt: »Das natürliche Abwehrsystem des Menschen ist lernfähig und muss trainiert werden«.

Auch die »Schmuddelhypothese« stützt diese Beobachtung. Eine Studie in Bayern kam zu dem Ergebnis, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, 15mal seltener an Heuschnupfen und Asthma leiden als andere Kinder. Spielen im Schmutz ist ein Fitnessprogramm fürs Immunsystem. Keimfreie Sauberkeit und hochdesinfizierte Haushalte fordern und trainieren das System nicht. In ärmeren Ländern treten deutlich weniger Allergien auf, genauso wie es im Deutschland der Nachkriegszeit war, als die Menschen andere Probleme hatten als spiegelblanke Böden.

Und schließlich gibt es da noch die »Urwald-Hypothese«, mit der Professor Johannes Ring, Direktor der Haut- und Allergieklinik der Technischen Universität München, zu erklären versucht, warum Heuschnupfen zur Volkskrankheit geworden ist. Ein Teil des Immunsystems – Antikörper der Klasse IgE – ist spezialisiert auf die Abwehr von Wurmparasiten. Durch die verbesserten hygienischen Verhältnisse in den hoch entwickelten Industriestaaten sei dieser Teil praktisch arbeitslos geworden und konzentriere sich nun manchmal kontraproduktiv auf die Bekämpfung von harmlosen Substanzen wie Pollen.

Und die gibt es im Übermaß. Die Pollenausschüttung hat sich nicht nur durch die Klimaveränderungen europaweit verstärkt. Schmutzpartikel aus der Luft machen auch die heimischen Pollen aggressiver, und fremde Pollen reizen zusätzlich. Durch den weltweiten Flugverkehr wurden Pollen des als »Pollenschleuder« verschrieenen Beifußblättrigen Traubenkrauts (Ambrosia artemisiifolia, Ragweed) aus Nordamerika eingeschleppt. Mit Kohlendioxid angereicherte Luft lässt, wie Forscher der Universität Harvard feststellten, Ragweed zu Hochform auflaufen: Die Pflanzen produzierten 61 Prozent mehr Pollen. Dieser Allergie-Auslöser Nummer 1 in den USA vermehrt sich inzwischen erfolgreich im Großraum Frankfurt, gedeiht in Ungarn, Tschechien, Polen, aber auch in Südschweden und Norditalien.

Mobilität birgt Gefahren. Wenn die Pollen nicht zu den Menschen kommen, dann kommen die Menschen zu den Pollen: Durch Fernreisen kommen Menschen mit immer neuen Allergenen in Kontakt. Dabei würde das Gute für Pollenallergiker so nah liegen: Reisen können auch dazu dienen, den Kontakt mit Pollen zu vermeiden. Dann allerdings sollte es ins Hochgebirge oder ans Meer gehen.

Vermeidung, Impfung und Medikamente

Die Augen tränen, brennen und jucken, man bekommt Niesattacken, die Nase ist verstopft oder tropft, man hüstelt. Wer empfindlich auf Pollen reagiert, kennt diese Symptome, kann sich aber nur in begrenztem Maße schützen.

Eine einzige Roggenähre setzt vier Millionen Pollenkörner frei; bei starkem Wind werden diese bis zu 400 Kilometer weit verweht. Schon 50 Pollen pro Kubikmeter können allergische Beschwerden auslösen. Am Einfachsten wäre es, das Weite zu suchen und ans Meer, auf eine Insel oder ins Hochgebirge zu flüchten, sobald die Pollen fliegen, mit denen man Probleme hat.

Alternativ dazu kann man nur versuchen, die Allergene zu meiden: Lüften empfiehlt sich nur zwischen 19 Uhr und Mitternacht, keinesfalls zwischen 5 und 9 Uhr früh, weil da die meisten Pollen unterwegs sind. Für gefahrloses Durchlüften gibt es Pollenschutzgitter. Man sollte häufig Staub saugen, um die Pollen auf Teppichen und Möbeln zu entfernen. Die Straßenkleidung legt man besser nicht im Schlafzimmer ab, um nicht Pollen einzuschleppen. Haare waschen vorm Schlafengehen verhindert, dass Pollen aufs Kopfkissen fallen und eingeatmet werden. Eine Nasendusche reinigt Nase und Nebenhöhlen von Pollen. Ein negativer Ionisator zieht Staub und Pollen teilweise aus der Luft.

In Autos ohne integrierten Pollenfilter sollte man die Lüftungsklappen geschlossen halten und vor allem morgens beim Losfahren nicht das Gebläse anschalten. Rasenmähen verbietet sich von selbst, da es Wolken von Pollen aufwirbelt. Eine dicht abschließende Sonnenbrille schützt die Augen im Freien vor verwehten Pollen.

Meiden der Allergieauslöser ist ein wichtiges Gebot. Bei der Therapie geht es darum, die Symptome zu lindern und möglichst die Ursachen zu beseitigen. Medikamente wie Nasensprays, Augen- und Nasentropfen, Tabletten und Asthmapräparate sorgen bei akuten Beschwerden für rasche Linderung, allerdings nur vorübergehend, denn es werden lediglich die Symptome behandelt.

Die einzige Form der Therapie gegen allergische Atemwegserkrankungen, die an die Ursache geht und eine Verschlimmerung verhindern kann, ist eine Allergie-Impfung. Dafür muss ein erfahrener Facharzt eine genaue allergologische Diagnostik stellen. Durch diese meist drei Jahre dauernde spezifische Immuntherapie oder Hyposensibilisierung lernt das Immunsystem normal auf »sein« Allergen zu reagieren. Mit langsam ansteigenden Dosierungen eines Allergen-Präparates wird der Allergiker unempfindlich gemacht gegen die Allergieauslöser. Die Erfolgsrate liegt bei 90 Prozent. Eine Kurzzeit-Immuntherapie kann auch noch kurze Zeit vor dem Beginn der Pollensaison durchgeführt werden, sollte aber in den folgenden Jahren wiederholt werden.

Wer bei sich eindeutige Anzeichen allergischer Reaktionen auf Pollen beobachtet, sollte sich nicht scheuen, einen Facharzt aufzusuchen. Das Risiko, dass sich aus einem unbehandelten Heuschnupfen chronisches Asthma entwickelt, ist beträchtlich.

 

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