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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Die folgenden Artikel wurden am 8.5.2001 in der »Stuttgarter Zeitung« veröffentlicht

Hauptartikel zum Thema:

»Wenn Laufen zur Qual wird«

Hintergrund:

»Operationen an der Hüfte«

Service:

Literatur / Adressen / Links


Mehr zu OP-Robotern auf meiner Seite: »Rückzug der Roboter aus dem OP-Saal«


Wenn Laufen zur Qual wird

Beim abgenutzten Hüftgelenk hilft meist nur noch eine Operation / Die Lebensqualität des Patienten ist das Hauptargument für eine Prothese / Künstliche Hüftgelenke funktionieren inzwischen bis zu 30 Jahre

Der Weg vom Stammtisch zur Garderobe ist ein Albtraum: Wenn Hans R. längere Zeit gesessen hat, kann er nur noch unter Schmerzen humpeln. Seine Hüftgelenke sind verschlissen: Arthrose. Anlaufschmerzen sind das typische Symptom. Oft hilft in solchen Fällen nur noch eins: ein künstliches Hüftgelenk.

von Maja Langsdorff

Wenn man nach und nach unbeweglicher wird, nach längerem Liegen oder Sitzen immer schwerer »in die Gänge kommt«, wenn schließlich das Anziehen von Strümpfen und Schuhen zum Problem wird, dann sind daran Abnutzungserscheinungen und Gelenkverschleiß - Arthrose - schuld. Liegen nämlich in der Hüfte Gelenkpfanne und Gelenkkugel aufeinander, weil zwischen ihnen der natürliche »Stoßdämpfer«, der Gelenkknorpel, verschlissen ist, löst dies heftige Schmerzen aus. Auch wenn manche Kleinanzeigen anderes versprechen, ein durch Arthrose zerstörtes Gelenk lässt sich nicht heilen.

Spätestens wenn die Schmerzen unerträglich und Schmerzmittel zum ständigen Begleiter werden, wirft sich die Frage auf, ob es nicht an der Zeit ist, eine Operation und den Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks zu erwägen. In Deutschland entscheiden sich 170.000 Menschen im Jahr dafür, in Europa sind es jährlich 550.000, Tendenz jedes Jahr um gut zwei Prozent steigend.

Es sind weniger objektive, medizinische Erwägungen, die zur Hüft-Operation führen. Der Hauptanlass ist der Leidensdruck des Patienten. »Entscheidend ist der Verlust an Lebensqualität«, erklärt der Chirurg und Unfallchirurg Jochen Feil, Chefarzt des Zentrums für Endoprothetik an der Atos Praxisklinik Heidelberg. Das Kriterium Lebensqualität ist natürlich ein sehr subjektives. Für Feil bedeutet es, »dass man aktiv sein kann - nicht nur schmerzfrei gehen kann. Schmerzfrei gehen und sich bewegen zu können, ist eigentlich das Minimalziel.« Mit modernen Implantaten kann er dem Patienten »eine Lebensqualität auf dem Niveau wie vor der Beginn der Erkrankung« in Aussicht stellen. Das heißt auch, dass sportlich Ambitionierte selbstverständlich wieder Sport treiben können, wenn es nicht gerade Mannschafts- oder Kampfsportarten sind.

»Probleme mit den Hüften« kennen nämlich keineswegs nur ältere Menschen. Zwar klagt jede/r Zweite im Alter jenseits der 50 über mehr oder weniger starke Beschwerden, und bei Menschen über 65 Jahren lassen sich fast generell degenerative Veränderungen des Knorpelgewebes im Röntgenbild nachweisen. Schäden am Hüftgelenk aber können sowohl angeboren, wie erworben oder die Folge von Verletzungen sein. Manche Menschen leiden schon mit 30 oder 40 Jahren unter schmerzhaften Abnutzungserscheinungen, weil bei ihnen die Hüftpfanne inkomplett ausgebildet ist.

Zu vorzeitigem Verschleiß des Gelenks und einer Hüftgelenkserkrankung führen unter anderem Fehlstellungen, gelenkfeindliche Körperhaltung, extreme mechanische Überbelastung, zu wenig Bewegung, zu hohes Gewicht, chronische Entzündungen, entzündliche Gelenkprozesse, Stoffwechselkrankheiten, angeborene Gelenkverrenkungen und Verletzungen wie z.B. ein Oberschenkelhalsbruch.

Im Anfangsstadium des Verschleißes mag noch Bewegung helfen: Schwimmen, Radfahren, Krankengymnastik und anderes, was die Gelenke mechanisch kaum belastet. Sind noch geringe Mengen an körpereigener Knorpelsubstanz erhalten, kann sogar der abgenutzte Hüftknorpel mit elektromagnetischer Behandlung stabilisiert werden.

Im fortgeschrittenen Stadium der Abnutzung hilft allerdings nur noch die Operation. Das zerstörte Hüftgelenk muss komplett ersetzt werden - durch eine künstliche Hüftpfanne mit Pfanneneinsatz, die in das Becken eingepresst oder eingeschraubt wird, einen Hüftprothesenschaft, der in den Oberschenkelknochen implantiert wird, und einen Kugelkopf, der auf den Hüftschaft gesetzt wird und im Pfanneneinsatz gleitet.

Viele Menschen plagen sich unnötig lang mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, weil sie irgendwann gehört haben, Hüft-Operationen sollte man wegen der begrenzten Funktionsdauer der Prothese so lang wie möglich hinauszögern. Jochen Feil relativiert dies: »Die Implantate halten heute nicht mehr nur zehn, zwölf Jahre, bis sie ausgetauscht werden müssen. Bei den neuen Implantaten und Werkstoffen kann man wirklich erwarten, dass sie dreißig Jahre und länger - bis hin zu lebenslang - halten.«

Es gibt eine kaum überschaubare Zahl von Prothesentypen und -modellen. Welches Modell das richtige ist, hängt von der Knochenbeschaffenheit, dem Körpergewicht, den körperlichen Aktivitäten und dem Alter des Patienten ab. Als größtes und am stärksten belastetes Gelenk des Körpers muss das Hüftgelenk täglich unzählige Drehungen, Wendungen, Dauerdruck und Erschütterung standhalten. Prothesen müssen deshalb aus sehr widerstandsfähigem Material bestehen. Heute werden hauptsächlich drei Materialien verwendet: Metalle, Kunststoffe (Polymere) und Keramik.

Wurden die Prothesen früher meist mit einem schnell aushärtenden Kunststoff im Knochen verankert, ist man wegen einer möglichen späteren Lockerung der Prothese inzwischen dazu übergegangen, die Prothese ohne diesen »Knochenzement« im Knochen zu implantieren. Feil: »Wenn ein Knochendefekt mit Zement aufgefüllt wird, kann der Körper da keinen eigenen Knochen bilden. Knochenzement ist eine tote Substanz. Mit einem zementfrei verankerten Implantat kann der Körper diesen Defekt dagegen mit körpereigenem Knochen schließen.«

Lockert sich eine Prothesen nach Jahren, ist dafür aber in der Regel der Abrieb von (Kunststoff-)Partikeln verantwortlich, die der Körper als Fremdkörper erkennt und abzubauen versucht. Die Stoffe, die das Immunsystem dazu absondert, schwächen das knöcherne Prothesenlager und bauen Knochen ab, so dass die Prothese nur noch von Bindegewebe gehalten wird. Wie bei Metall-Gleitpaarungen spielt bei modernen Kunststoff-Gleitpaarungen aus hochvernetztem Polyäthylen der Partikelabrieb praktisch keine Rolle mehr. Im Labor konnte man am Hüftsimulator nach zwanzig Millionen Bewegungszyklen - das entspricht zwanzig Jahren Gehen - keinen Verschleiß messen.

Gefahr kann jedoch von körpereigenen Prozessen drohen. Menschen mit Hüftprothesen müssen prophylaktisch Antibiotika einnehmen, wenn sie beispielsweise einen Eiterzahn oder eine Harnwegsentzündung haben. Gelangen nämlich die Bakterien über die Blutbahn an die Prothese, kann sich dort eine örtliche Entzündung bilden, und die Prothese lockert sich.

Es gibt nicht die eine, für jeden Patienten richtige Prothese. Ein gutes Langzeitergebnis beruht auf verschiedenen Faktoren: Technik, Operation und der Patient selbst. So spielen nicht nur Konstruktion und Material der Prothese eine Rolle, sondern u.a. auch die Erfahrungen des Operateurs mit der speziellen Prothese und die Anatomie des Patienten bzw. die Reaktion seines Gewebes. Wie der Patient mit seiner Prothese zurecht kommt und sie nutzen kann, hängt nach Feil letztlich von ihm selbst ab: »Die Prothese kann ein Spagat machen, aber man muss auch die Muskulatur dazu haben. Es ist ein totes Implantat, das kann nur der Patient zum Leben erwecken, auch der Chirurg kann das nicht. Der Patient muss etwas dafür tun, dass er möglichst viel von dem Implantat profitiert.«

Literaturempfehlungen zum Thema:

Dr. med Honke G. Hermichen/Sibylle Kistermann: »Gut leben mit dem neuen Hüftgelenk«, Georg-Thieme-Verlag Stuttgart 2001, 34,90 DM
Peter Matzen: »Das künstliche Hüftgelenk«, Verlag Gesundheit Berlin 1996, 24,90 DM
Anne Lelievre, Marc Taillet, Claire Valentin: »Leben mit einem künstlichen Hüftgelenk«, Schulz-Kirchner Idstein 2000, 12,00 DM

Adressen:

Deutsche Arthrose-Hilfe e.V., Postfach 11 05 51, 60040 Frankfurt a. M., Tel. 0 68 31/9466-77
Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V., Maximilianstraße 14, 53111 Bonn, Tel. 0228/7660-60
Deutsches Grünes Kreuz e. V., Beratungstelefon zum Thema »Arthrose«, Tel. mittwochs, 16.00 bis 20.00 Uhr: 06421/293290

Interessante Links zum Thema:

http://www.arthrose.de/
http://www.deutsches-arthrose-forum.de
http://www.mdr.de/hauptsache-gesund
http://www.almeda.de (suchen unter »Hüftgelenk«)
http://www.m-ww.de/krankheiten/rheuma/arthrose.html
http://www.robodoc.com

Operationen an der Hüfte

Das Hüftgelenk ist nicht nur das größte Gelenk des Menschen, es wird auch am stärksten belastet. Bei einer täglichen Gehstrecke von fünf Kilometern wird es gut zehntausendmal mit etwa 300 Kilogramm be- und entlastet, hat Honke G. Hermichen, Chefarzt im Neusser Lukaskrankenhaus ausgerechnet. Abnutzungserscheinungen kündigen sich durch Steifheit, Einschränkungen in der Beweglichkeit und Anlaufschmerzen an. Der Betroffene beginnt sich zu schonen, nimmt Zwangshaltungen ein, vermeidet Belastungen; Muskeln, Sehnen, Bänder verkürzen sich oder schrumpfen - ein Teufelskreis.

Eine Operation, in der die »kaputte Hüfte« gegen eine Prothese ausgetauscht wird, dauert nur etwa 70 bis 80 Minuten und gilt als Routineeingriff - seit 45 Jahren werden nach Hermichen solche Eingriffe vorgenommen. Künstliche Gelenke (Endoprothesen) werden der Natur so nah wie möglich nachgebildet. Es gibt drei Typen von künstlichen Gelenken: solche die einzementiert werden, solche, die zementfrei eingepresst oder eingeschraubt werden, und Mischformen, in denen die Pfanne zementfrei verankert, der Prothesenschaft aber einzementiert wird.

Die vor Jahren favorisierte Roboterchirurgie ist auf dem Rückzug: Nur noch 5000 bis 6000 der jährlich 170.000 Implantationen in Deutschland werden nach dieser Methode vorgenommen. Der Hersteller des europäischen Chirurgieroboters Caspar zog aus wirtschaftlichen Gründen bis Ende Juni 2001 alle 58 in deutschen, französischen und italienischen Kliniken vermieteten Roboter zurück. Caspar (Computer Assisted Surgical Planning and Robotics) und Robodoc sind Roboter zur Implantation künstlicher Hüftgelenke und arbeiten präziser als jeder noch so erfahrene Chirurg.

1992 wurde die erste Robodoc-Operation an einem Menschen durchgeführt. Der Prototyp von Robodoc wurde von einem japanischen Automobilroboter abgeleitet, während die Software in den USA entwickelt wurde. Der Arzt programmiert den Roboter nach computertomographischen Aufnahmen, und so kann die Operation bis ins Detail am Computer geplant werden. Die Nachteile sind allerdings vielfältig: Der Roboter kann nur Rundungen fräsen, weshalb die besonders bewährten rechteckigen Prothesenschäfte nicht eingesetzt werden können. Die Operationswunde ist größer, und die Operation dauert länger, wodurch das Infektionsrisiko steigt.

Auch wenn die Komplikationen und Risiken bei Hüftoperationen generell sehr gering sind, ist der Eingriff doch »aus chirurgischer Sicht eine innere Amputation des Beins«, sagt der Heidelberger Chirurg Jochen Feil, der schon etwa 2000 Prothesen in Hüft- und Kniegelenke implantiert hat. So gehören Blutergüsse, Infektionen, Allergien, die Gefahr von Blutungen und Thrombosen zu den Risiken des Eingriffs. In sehr seltenen Fällen kommt es nach der Implantation zu erheblichen Verkalkungen und innerhalb weniger Wochen versteift sich das Hüftgelenk. Durch die Gabe von Medikamenten, gelegentlich zusätzlich durch eine Bestrahlung mit niedriger Dosis, lässt sich dieses Risiko minimieren.

Die Zeit der Vorbereitung und Nachbehandlung fordert die aktive Mitarbeit vom Patienten. »Das Vorgespräch mit dem Patienten dauert bei mir länger als die Operation«, sagt Feil. »Nur ein informierter Patient ist auch ein kooperativer Patient«.

Im Vorfeld muss nicht nur das Technische abgeklärt, sondern auch ein individuelles Behandlungskonzept entwickelt werden, in das Operateur, Therapeuten, Angehörige mit eingebunden sind. Zu klären ist, in welchem sozialen und häuslichen Umfeld sich der Patient bewegt, was er für Ansprüche ans Leben hat: Will er wieder sportlich aktiv sein oder nur Schach spielen und ab und zu mal spazieren gehen?

Es ist sehr hilfreich für eine schnelle Rehabilitation, wenn der Patient schon Wochen vor der Operation mit krankengymnastischen Übungen seine Beweglichkeit verbessert, seine Muskulatur kräftigt und sich mit Gehhilfen (Krücken) vertraut macht. Etwa fünf Wochen vor dem Termin beginnt die Vorbereitung mit Eigenblutspenden. Der Blutverlust während und nach der Operation ist relativ hoch, zwischen 500 und 1000 Milliliter, da sich die Blutung aus dem Knochen nicht stillen lässt wie eine Blutung aus dem Gewebe. Mit Eigenblutspenden und dem von einem speziellen Gerät (Cell-Saver) während der Operation zurückgewonnenen Blut kann der Verlust, wenn nötig, ohne das Risiko von Unverträglichkeitsreaktionen und der Übertragung von Infektionskrankheiten wie Hepatitis oder AIDS ausgeglichen werden.

Nach einem Krankenhausaufenthalt von 10 bis 14 Tagen schließt sich eine ambulante oder stationäre Rehabilitation an, die drei bis vier Wochen dauert. Bis die Prothese eingewachsen ist, vergehen bis zu 16 Wochen. Kommt der Patient nach Hause, ist das nicht das Ende der Therapie. »Erst wenn man sich muskulär, koordinativ und von der Beweglichkeit nicht mehr verbessern kann, ist die Behandlung abgeschlossen«, sagt Jochen Feil.

Eine Frage brennt vielen Patienten mit einem künstlichen Hüftgelenk unter den Nägeln: Was, wenn die Prothese ausgetauscht werden muss, weil sie sich gelockert hat, etwa durch Partikelabrieb oder eine Infektion? Wechseloperationen sind heute relativ selten, die Prothesen halten auch deutlich länger - in den achtziger Jahren machten Austauschoperationen noch 17 Prozent aller Hüftoperationen aus. Wechseloperationen aber sind aufwendig und bei älteren Patienten wegen des Blutverlusts und des Narkoserisikos kritisch - mehr als die Hälfte der Betroffenen sind älter als 70 oder 80 Jahre. Zunächst wird der lockere Prothesenschaft und das ihn umgebende Bindegewebe entfernt. Unterhalb des ursprünglichen Prothesenlagers wird zementfrei eine Titan-Revisionsprothese mit langem Schaft in der stabilen Markhöhle implantiert. Im geschwächten Prothesenlager kann sich so wieder Knochen neu bilden und die verlorene Substanz ersetzt werden. Große Knochendefekte müssen mit Transplantaten aufgefüllt werden. Das betroffene Bein darf erst nach dem stabilem Anwachsen des Knochens an die Prothese voll belastet werden, was drei bis vier Monate dauern kann, und entsprechend länger dauert die Rehabilitation.

(Stand 5/2001)

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